Was für ein Jahresbeginn! Nach einem recht leisen und schläfrigen Start ins neue Jahr kam sehr schnell Bewegung in den Januar. Das war einerseits toll, denn eine gewisse Dynamik braucht es ja, um aus der weihnachtlichen Nest- (und Rest-)wärme heraus- und wieder in den trauten Takt und wohltemperierten Tatendrang hineinzukommen. Nur war mein Januar-Tempo vielmehr Presto als Andante, die To-Do-Liste war prall gefüllt und ich musste gut Schritt halten.
“Schritte plus”, könnte mein Januar heißen, genau wie das DaF-Lehrwerk, mit dem ich vor ein paar Jahren mal unterrichtet habe. Und so ging der Januar auch zuende: Mit vielen Schritten, die sich allesamt gelohnt haben: plus neue Aussichten, neue Aufträge, neue Ideen und Konzepte, plus neues Feedback von Workshop-Teilnehmerinnen, plus Anmeldungen für mein kreatives Schreibangebot, das am 7. Februar startet, plus Museen, Bücher, Schnee und gutes Essen.
Magst du ein paar Schritte mit mir gehen? Hier kommen meine drei Januar-Themen:
Schon seit Ende 2022 hatte ich mich auf die beiden anstehenden Workshops im Januar gefreut! Und dann sollten beide auch noch in Jena stattfinden, wo ich von 2009 bis 2017 selbst studiert, gearbeitet, geschrieben hatte und wo ich mich immer schon geborgen und wie zu Hause gefühlt habe.
Jena also, der Schauplatz beider Workshops, die sich um das Schreiben drehten. Inhaltlich waren die Workshops dennoch grundverschieden: Das fing schon mit der Zielgruppe bzw. den Auftraggeberinnen an. Für den ersten Workshop Anfang Januar wurde ich von einer Gruppe freiberuflicher Psychologinnen angefragt. Ein wesentliches und verbindendes Element ihrer Arbeit ist das Schreiben von Gutachten für Familiengerichte – jeweils zwischen 12 bis 20 schreiben sie pro Jahr, der Umfang variiert von ca. 10-60 Seiten, je nach Fragestellung und Komplexität des Falls und des Familiengefüges. In den Gutachten geht es um die sog. “Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung”, die meist um Umgangsregelungen oder Erziehungsfähigkeit kreist. Und da sowohl die Frage als auch deren Beantwortung meist so komplex ist, entstehen in der Folge oft Gutachten, die auch sprachlich höchst anspruchsvoll sind – im Schreiben wie im Lesen. Im Zentrum dieses Workshops standen daher die Fragen: Wie schreibe ich? Für wen schreibe ich? Wer liest mit? Wie gelingt ein klarer und präziser Ausdruck? Wie kann ich Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden – beim Formulieren, aber auch schon einen Schritt vorher, beim Zeit- und Selbstmanagement?
Besonders schön fand ich die Gelegenheiten, voneinander und miteinander zu lernen, zum Beispiel beim anfänglichen “Markt der Fähigkeiten”: Alle Teilnehmerinnen visualisierten auf Papier ihren eigenen Marktstand mit derzeitigen, versteckten und gewünschten Fähigkeiten beim Schreiben. Beim gemeinsamen Marktspaziergang konnte dann auch mit den Fähigkeiten “gehandelt” werden: Wer hat was anzubieten? (“Ich kann auch kleine Zeitfenster richtig gut fürs Schreiben nutzen”) Wer möchte etwas vom Marktstand der anderen mitnehmen? (“Wie schaffst du es, dich so kurz zu fassen? Das würde ich auch gern können.”) So wurden eigene Selbstverständlichkeiten und Ressourcen, aber auch Entwicklungsfelder sowie das Potenzial der ganzen Gruppe offenbar. Ein schöner Ansatz also für Peer-to-Peer-Lernen.
Der Workshop-Tag war lang und intensiv, doch wir hatten ideale Bedingungen, um das Energielevel hochzuhalten: Unser Tagungsraum lag im 27. Stock des Jentowers im Zentrum der Stadt. Der Ausblick war fantastisch. Mittagessen gab es im Scala-Restaurant, das uns auch in den Pausen mit Getränken, Häppchen und hausgemachtem Kuchen verpflegte. Himmlische Zustände also und dem Himmel dabei so nah! Ich konnte mein Glück kaum fassen.
Nach der Reise ist vor der Reise. Nur zweieinhalb Wochen später kam ich für den zweiten Schreibworkshop nach Jena. Dieses Mal war mir der Ort sehr vertraut: Bis 2016 hatte ich selbst mehrmals pro Woche Zeit in der dritten Etage des Campus-Gebäudes verbracht, in Seminaren wie “Klassische und moderne Romantiker”, “Kleinformen lateinischer Prosa” oder “Qualitätsentwicklung im Auslandsschulwesen”. Schon damals stand ich (mit zunehmender Semesterzahl exponentiell steigend) gern vorn im Seminarraum, um zu präsentieren, Übungen oder Diskussionen anzuleiten. Nun wieder in einem dieser Räume zu stehen, war ein besonderes Gefühl – einige Jahre und so viele Schritte liegen zwischen den beiden Versionen meiner selbst.
Dieses Mal ließ ich meine Flipcharts zu Hause und arbeitete stattdessen mit Präsentation, Arbeitsblättern, Moderationskärtchen, Stiften und Post-It-Notes, mit Plakaten und QR-Codes. Gemeinsam mit den internationalen Masterstudierenden im Fach Deutsch als Fremdsprache näherten wir uns neugierig dem eigenen Schreiben an: Das Vertraut-Werden und Erforschen des eigenen, kreativen Schreibens also als Ausgangspunkt für das wissenschaftliche Schreiben. Mit diesem Ansatz habe ich bisher nur positive Erfahrungen gemacht, denn er ist weniger angst- und sorgenbesetzt als direkt mit den (sprachlichen) Anforderungen an wissenschaftliches Schreiben einzusteigen. Zunächst reflektierten die Studierenden ihre eigene Schreibbiografie und diskutierten den Nutzen von Schreibbiografie-Arbeit im Lehr-Lern-Kontext von Deutsch als Fremdsprache. Sie probierten verschiedene Schreibtechniken und Tools aus, die das Schreiben, Visualisieren und Recherchieren vereinfachen können. Und sie gaben sich gegenseitig Tipps und Hilfestellungen für Fälle von Prokrastination und Schreibblockaden.
Hier eines der Feedbacks aus der Abschlussrunde:
„Ich hatte Angst vor dem Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit. Und ich hatte das Problem der Prokrastination. Meine Angst vor dem wissenschaftlichen Schreiben ist kleiner geworden, weil ich ein paar Methoden gelernt habe, die ich probieren möchte. Auch ein paar wichtige Apps habe ich kennengelernt, die das Lesen von Literatur erleichtern können. Während der Reflexion der eigenen Schreibbiografien habe ich mich sehr wohl gefühlt. Da bemerkte ich, dass ich so viel Erfahrungen und Gedanke über das Schreiben in meinem Leben gehabt habe. Super tolle Erfahrungen und Gefühle beim Workshop! Nun habe ich keine Angst, mit gutem Zeitplan kann ich es wahrscheinlich schaffen, eine gute Hausarbeit zu schreiben. Die Tipps gegen Prokrastination, die Tools und auch die Methoden gegen Schreibblockade möchte ich im Alltag umsetzen.“
Die Zeit, bevor das Semester Anfang oder Mitte Februar endet, ist immer intensiv. Früher war es das für mich als Studentin, seit 2017 kenne ich das Semesterende-Gefühl von der anderen Seite her: Etwa einen Monat vor Ende wird alles etwas zäher, etwas anstrengender, etwas dichter wie eine zuwachsende Hecke. Letzte Seminarleistungen müssen erbracht und Klausuren vorbereitet werden. Es wird ernst, Fragen drängender, Fehlzeiten schwieriger, das Sehnen nach dem “Danach” wird größer. Die Wochen sind gezählt, ebenso wie die Themen und die Seiten oder Lektionen in den Büchern, die noch geschafft werden müssen. Nach dem Weihnachts-Knick wieder einzusteigen und auch hier in den gemeinsamen Rhythmus zurückzufinden, ist herausfordernd.
Im B2-Kurs haben wir semesterbegleitend Helga Schuberts “Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten” gelesen und im Seminar einzelne Kapitel besprochen. Dafür habe ich offene Fragen zu den beschriebenen Situationen, zu Leseeindrücken und Assoziationen formuliert, die dann in den ersten 10-20 Minuten des Seminars in Kleingruppen und anschließend im Plenum besprochen wurden. Zusätzlich haben die Studierenden nun im Januar andere Kapitel ihrer Wahl präsentiert, in denen u.a. sprachliche, literarische, gesellschaftliche oder historische Bezüge in Schuberts Geschichten eingeordnet wurden. So haben wir viel über Aufbrüche und Umbrüche, über Mütter und Töchter, den Glauben und über das Aufstehen gesprochen. “Vom Aufstehen” ist übrigens die Erzählung, mit der Helga Schubert 2020 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat.
Daneben habe ich sowohl im B2-Kurs als auch im Seminar “Wissenschaftliches Schreiben” mit den Studierenden über Künstliche Intelligenz und insbesondere ChatGPT beim Schreiben und in der Uni diskutiert. Das schätze ich an meiner Arbeit sehr: Die Möglichkeit, aktuelle Themen und Kontroversen mit in den Unterricht zu nehmen und direkt besprechen zu können! Deshalb bekommt ChatGPT nun eine eigene Überschrift:
Nachdem ChatGPT Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde, habe ich im Januar in den Medien, im Newsletter von Nele Hirsch (eBildungslabor) und über den E-Mail-Verteiler der EATAW (European Association for Teaching of Academic Writing) so viel über den Chatbot und mögliche Konsequenzen für Lehre, Lernen und Schreiben gelesen, bis ich mich selbst auf der Seite registriert und ChatGPT ausprobiert habe. Folgendes wollte ich herausfinden:
Da die Studierenden im B2-Kurs eine Woche zuvor eine Erörterung zum Thema “Bonusprogramme bei Krankenkassen” schreiben sollten, wollte ich zunächst wissen, welche Argumente ChatGPT generieren kann: “Nenne mir 10 Gründe, warum Krankenkassen Bonusprogramme für einen gesunden Lebensstil anbieten sollten.” Ich war positiv überrascht von der schnellen Reaktionszeit und der präzisen, analytischen Antwort: ChatGPT lieferte mir eine nummerierte Liste, in der jedes Argument zunächst in 2-3 Stichworten zusammengefasst wurde. Zum Beispiel: “Erhöhung der Motivation:” Danach folgte die Erklärung des Arguments in einem vollständigen Satz: “Bonusprogramme können dazu beitragen, dass Versicherte motiviert sind, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben und auf ihre Gesundheit zu achten.” (OpenAI 2021: ChatGPT, Zugriff am 18.1.2023)
Für das Seminar “Wissenschaftliches Schreiben” probierte ich andere Suchanfragen aus. Die Antworten waren auch für die folgenden Fragen sehr klar, präzise und sprachlich angemessen. Den Chatverlauf kopierte ich anschließend in ein Word-Dokument und nahm es als Diskussionsgrundlage mit ins Seminar.
Zum Schluss wollte ich noch das kreative Potenzial von ChatGPT testen und stellte folgende Anfragen:
Vorläufiges Fazit: Ich merke, das Thema muss ich noch einmal ausführlicher in einem anderen Blogartikel aufgreifen… Zweifelsohne bieten Anfragen bei ChatGPT eine gute Grundlage für alle möglichen Aufgabenfelder, sei es für Brainstormings, die Gliederung von Argumenten, Texten, Präsentationen, die Unterrichtsvorbereitung, Korrektur von Sätzen und Texten, fürs Fremdsprachenlernen oder zur Ideengenerierung. Für mich wird ChatGPT aber erst im Austausch mit anderen Menschen richtig interessant: Wie ordnen wir KI-generierte Vorschläge und Argumente ein? Woran erkennen wir, dass eine künstliche Intelligenz am Werke war? Wie lassen sich Antworten weiterdenken?
Natürlich ist es gerade am Anfang faszinierend und fast erschreckend, auf Suchanfragen so genaue und scheinbar durchdachte Antworten zu erhalten und davon ausgehend auch weiter nachfragen zu können. Genauso faszinierend fand ich es aber auch im Jahr 2004, den Titel eines gerade laufenden Fernsehfilms zu googlen und in den Suchergebnissen direkt den Amazon-Link zu finden, über den ich den Film per Mausklick bestellen konnte. Heute wundert sich niemand mehr darüber; 2004 war das wie eine Revolution.
Im Januar habe ich deshalb neue Workshopkonzepte für den Umgang mit ChatGPT beim wissenschaftlichen Schreiben und die Nutzung von ChatGPT beim Fremdsprachenlernen entwickelt. Ich freue mich, die Potenziale und Grenzen von KI in der Bildung in meinen Workshops weiter auszuloten.
Korrekturen, Korrekturen, Korrekturen. Erst letztens (seit meinem Eintritt in die Weiten der Twitter-Alternative Mastodon) habe ich den Hashtag #korrekturfrei im dortigen “Lehrer*innenzimmer” gefunden. Ich kann es kaum erwarten, mir den Hashtag Mitte Februar zu eigen zu machen, wenn all die Klausuren, Erörterungen und Essays korrigiert sind…
Schon übermorgen startet mein Programm zum biografischen und kreativen Schreiben für Frauen: Der Paradies&das Female Writing Circle.
6 Frauen haben sich angemeldet, für 6 Wochen werden wir gemeinsam zu Themen wie Identität und Herkunft, Initiation, Aufgaben und Lebenswege schreiben. Die Anmeldung ist hier noch bis zum 7. Februar möglich.
Ende Februar gebe ich einen Online-Schreibworkshop für die Complutense Universidad in Madrid, worauf ich mich schon sehr freue!
Und sicher gibt es einige Dinge, die gerade noch im Verborgenen liegen und die den Alltag im Februar dann umso überraschender machen. Wir lesen uns spätestens im nächsten Monatsrückblick wieder!
Dozentin und Schreibtrainerin in Berlin
Wissenschaftliches und kreatives Schreiben, (Hochschul-)Didaktik
Deutsch als Fremdsprache