“Künftige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus”, das wusste ich schon Ende Februar. Mein eigener Terminkalender kommt mir manchmal etwas überwältigend vor und es ist ein neuartiges und noch etwas fremdes Gefühl für mich, immer schon so viele Termine und Pläne im Kalender vorzufinden, die dann nur noch im rechten Moment mit Zeit und Erfahrung gefüllt werden müssen.
Blättere ich im Kalender nach vorne, bin ich oft überwältigt von den Dingen, die auf mich zukommen. Blättere ich hingegen zurück, liegt alles in guter Ordnung und mit Sinn gefüllt hinter mir. Deshalb halte ich mich eigentlich am liebsten in der aktuellen Woche und ganz tagesaktuell in meinem Leben auf – diese Haltung ist übrigens auch für den Moment des Schreibens entscheidend. Schreiben lässt es sich nur in der Gegenwart, im Hier und Jetzt, auch wenn ich gedanklich zwischen Erinnerung und Vorsehung hin- und herpendeln kann. Das ist schon einmal ein kleiner Vorgeschmack auf ein Thema dieses Blogs: Ein besonderer Schreibworkshop in Nizza.
“Künftige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus”, das hat der schottische Dichter Thomas Campbell um 1800 in seiner Ballade “Lochiel’s Warning” geschrieben und es ist zu einem geflügelten Wort geworden. Viele sehen in den vorauseilenden Schatten zur Zeit sicherlich die Entwicklung der künstlichen Intelligenz – auch gerade wieder Thema auf der re:publica, der Konferenz zur digitalen Gesellschaft in Berlin. Im Bereich des Schreibens und (Fremdsprachen-)Lernens ist vor allem der Chatbot ChatGPT in aller Munde. Dazu habe ich in den letzten drei Monaten viel nachgedacht und gearbeitet und auch darum geht es hier.
Für diesen Blogeintrag bin ich noch einmal in meine Lebenswelt von März, April und Mai eingetaucht – in die Dinge, die schon wissentlich vor mir lagen ebenso wie in die kleinen Nebengassen und überraschenden Verzweigungen, die das Leben auch spontan mit sich bringt. Lass uns zusammen durch die Highlights der letzten Monate spazieren…
Wie schon letztes Jahr im September habe ich auch im März wieder einen Deutsch-Intensivkurs für internationale Studierende an der Viadrina in Frankfurt gegeben. Vier Wochen lang haben die 15 Teilnehmer*innen für je vier Tage zusammen die ersten Schritte in Deutschland, Frankfurt und der deutschen Sprache gemacht. Die meisten von ihnen kamen erst wenige Tage vor Kursbeginn in Deutschland an. Unter ihnen sind Erasmus-Studierende, Stipendiat*innen und Studierende, die ein ganzes Masterstudium in Frankfurt absolvieren wollen. Dieses Mal gehörten zu den Herkunftssprachen Japanisch, Koreanisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Englisch, Russisch, Tschechisch, Arabisch und Urdu. Dieser aufregende und abenteuerliche Start der Studierenden versetzt mich jedes Mal wieder zurück in mein eigenes Auslandssemester vor sieben Jahren. Für mich waren die Italienischkurse damals nicht nur in sprachlicher Hinsicht überlebenswichtig; sie gaben auch den Raum für Austausch und Gemeinschaft mit den anderen Lernenden, im Seminar und darüber hinaus.
Zum Start eines neuen Kapitels fernab der Heimat ist es mir als Dozentin daher immer wichtig, für ein gutes und wertschätzendes Klima zu sorgen und es den Studierenden durch verschiedene Sozialformen und entdeckendes Lernen zu ermöglichen, über sich selbst hinaus- und auch zusammen zu wachsen. (An dieser Stelle fände ich auch “zusammenzuwachsen” durchaus passend.) Auch wenn der März noch viele kalte und regnerische Tage bereithielt, habe ich doch so oft wie möglich versucht, das Lernen auch an andere Orte zu verlagern, z.B. bei Stadtrallyes, bei Laufdiktaten auf der Insel Ziegenwerder, bei Entdeckungstour durch einen großen Supermarkt oder direkt in die zarte Frühlingssonne vor unserem Seminargebäude.
Bei einer Exkursion nach Beeskow und einer Führung durch das Musikmuseum lernten wir nicht nur die mittelalterliche Stadt und die Burg, sondern auch selbstspielende Musikautomaten aus verschiedenen Zeiten und Ländern kennen. Über die Sprachen hinaus war die gemeinsame Erfahrung der Musik und das Staunen über die Funktionsweise der mechanischen Instrumente sehr verbindend.
Ende März war der Intensivkurs dann auch schon wieder zuende. Bei einer kleinen Abschiedsparty hatten die Studierenden die Gelegenheit, sich gegenseitig kleine Nachrichten als Erinnerung an die gemeinsame Zeit zu schreiben. Auch ich wurde bedacht und freue mich über so viele herzerwärmende Worte.
Nach einer kurzen Verschnaufpause hat Ende April das Sommersemester am Sprachenzentrum der Viadrina begonnen. In diesem Semester gebe ich wieder vier Seminare, zwei Deutschkurse auf verschiedenen Niveaus, ein Seminar zum wissenschaftlichen Schreiben und eins zu Landeskunde, auch wenn mir dieser Begriff etwas veraltet, verschult und normiert vorkommt. Zum Glück ist es aber nur das Label des Seminars und nicht der Inhalt – den kann ich nämlich ganz frei, nach Belieben und in Abstimmung mit den Studierenden festlegen.
Im März habe ich im Auftrag des Österreichischen Austauschdienstes (OeAD) und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) einen besonderen Workshop für Lehramtsstudierende der Fächer Deutsch und Französisch in Nizza gegeben. Der Workshop lautete: “Sinn- und zwecklos?! Kreatives Schreiben auf Deutsch analog und digital” und war in einem Seminar zu Stilistik und Lyrik eingebunden. Dieses Mal ging es also vorrangig um kreative Zugänge zum Schreiben und durch den Lehramtsbezug auch um die Frage, wie die Studierenden als zukünftige Lehrer*innen das kreative Schreiben mit digitalen Tools im Unterricht fördern könnten.
Die Vorbereitung des Workshops hat mir großen Spaß gemacht, weil ich selbst in der Ausgestaltung so kreativ und frei sein konnte. Manchmal war es fast schon schwer, mich und meine tausenden Ideen zu zügeln und in Anbetracht der knappen Zeit und der digitalen Durchführung nur die allerwichtigsten Techniken und Webseiten für die Studierenden auszuwählen.
Dass mein Konzept letztendlich aufgegangen ist, sieht man auch an den tollen Bewertungen der Studierenden:
“Vor diesem Workshop hatte ich viele Schwierigkeit mich ins Büro zu setzen und einfach etwas zu schreiben. Ich musste immer überlegen bevor ich etwas schreiben wollte. Dank dieses Workshop, haben Sie meine Schreibkompetenzen vielleicht ein bisschen verbessert. Und Sie haben uns die Möglichkeit gegeben uns zu verbessern, dank dieser Tools. Es war das erste mal, dass ich eine Meditation gemacht habe. Und ich fand es richtig Cool und angenehm. Ich werde es wahrscheinlich wieder benutzen. Im Alltag möchte ich jetzt nicht zu viel Überlegen, sondern agieren, und direkt schreiben. Dieser Workshop war für mich auch einer der besten Workshops an den ich teilgenommen habe. Das war echt super strukturiert, Sie haben ihren Roten Faden gut verfolgt und alles war gut verständlich.”
Anna, Lehramt Studentin Deutsch/ Französisch in Nizza
“Ich schreibe häufig Tagebuch und schreibe gerne ab und zu Gedichte oder kreative Texte. Oft habe ich jedoch Formulierungsschwierigkeiten. Durch die vielen Tools hat sich mein Horizont erweitert. Die verschiedenen Webseiten haben mich auch inspiriert, dies in den Lehrerberuf einzubeziehen. Ich möchte ab sofort weniger kritisch sein mit meinem Verfassen von Texten. Die Meditation war toll und das beschreiben der Fenster. Die Verbindung von Geist/Körper und dem Schreiben an sich hat mir gut gefallen. Jede Website hat mich inspiriert, das später mit meinen Schüler*innen auszuprobieren. Ich glaube das ist eine super Möglichkeit Kinder zum schreiben zu animieren. Ich möchte mehr Freewriting in meinen Alltag integrieren. Auch bei wissenschaftlichem Schreiben für die Uni kann das, denk ich, Hilfreich sein. Im Alltag als zukünftige Lehrerin dann im Unterricht (auch im Fremdsprachunterricht). Sie haben das wundervoll gemacht von Anfang bis Ende. Vielen Dank für die Bereicherung!”
Aline de Coulon, Lehramtsstudentin
“Vor diesem Schreibworkshop habe ich noch nie einen Text mithilfe der verschiedenen Methoden, die wir gesehen haben, geschrieben. Ich glaube, das Problem, das ich hatte, war, etwas zu schreiben und mich dabei beurteilt zu fühlen. Der Schreibworkshop hat mir gezeigt, dass es verschiedene Arten des Schreibens gibt und dass wir die unserer Meinung nach beste auswählen müssen.
Mir hat der Schreibworkshop sehr gut gefallen. Ich kannte nämlich all diese Methoden nicht und es sind sehr spielerische Methoden, mit denen wir unsere Vorstellungskraft entwickeln können. Der Moment, der mich am meisten überrascht hat, war ganz am Anfang mit der Meditation. Mir persönlich fiel es etwas schwer, mich zu konzentrieren, aber ich verstand, dass wir all unsere negativen Gedanken ablegen mussten, um Fantasie zu haben und gut schreiben zu können.
Dieser Schreibworkshop hat mir gezeigt, dass wir zu jeder Tageszeit schreiben können. Dank des Schreibens können wir sagen, was wir fühlen.
Ich fand den Workshop sehr interessant, sehr gut organisiert und sehr gut erklärt. Die Powerpoint-Präsentation war sehr gut. Die Aufgabenstellung waren klar und die Zeit für den Austausch war interessant, um zu sehen, wie sich meine anderen Kommiliton*innen mit diesen Methoden gefühlt haben.”
Stéphanie, Studentin
Wir haben trotz der Entfernung zwischen Frankfurt an der Oder und Nizza super über Zoom zusammengearbeitet. Durch den gemeinsamen Erfahrungsraum und die Austauschmöglichkeiten auf den Webseiten waren wir stets vielschichtig und intensiv miteinander in Kontakt.
Kleine Randnotiz: Für meine Online-Workshops arbeite ich mit zwei Bildschirmen und (teilweise) auch mit zwei Kameras. Auf dem Foto kann man sehr gut meine Lieblingskamera erkennen, die auch als Dokumentenkamera verwendet werden kann: doppelt gut! Die Kamera (HUE HD Pro) ist biegsam, super flexibel und einfach über USB anzuschließen. Für mich war der Kauf ein echter Gamechanger.
Letztlich ist im Workshop aus einer kreativen und kollaborativen Sammlung bei Padlet und in einer gemeinsamen Online-Mindmap eine fruchtbare Diskussion entstanden, die von konkreter Poesie und anderen Schreibtechniken sogar bis zu Bildungs(un)gerechtigkeit und Pierre Bourdieu reichte. Daneben bleibt die besondere individuelle Schreiberfahrung während des Workshops, die sich hoffentlich auch positiv auf das Schreiben der anstehenden Abschlussarbeiten auswirken wird…
Für die Osterferien, die Zeit direkt nach dem Deutsch-Intensivkurs, hatten meine Schwester und ich eine Zugreise nach Frankreich in die Bourgogne und nach Marseille geplant. Wir hatten ein gemütliches Cottage gemietet, das ganz in der Nähe der Communauté de Taizé liegt, einer ökumenischen Glaubensgemeinschaft, die durch internationale Jugendtreffen bekannt ist. Im Laufe meiner 20er Jahre waren wir etliche Male in Taizé und wollten die besondere Atmosphäre dort (besonders nach den letzten drei Corona-Jahren) wieder einmal erleben. Leider verlief der Urlaub etwas anders als geplant, da ich die ersten Tage ziemlich krank war und die meiste Zeit in unserer kleinen Ferienwohnung verbrachte… Erst die warme Sonne in Marseille und die aufkommenden Frühlingsgefühle ein paar Tage später haben mich wieder ganz gesund gemacht. So konnten wir dann auch die steile Anhöhe zur Kathedrale Notre-Dame de la Garde erklimmen und den Ausblick auf Marseille genießen. Auch empfehlenswert ist eine Bootstour durch die Calanques, eine Küstenlandschaft aus Kalkgestein, die wir vor ein paar Jahren auf unserer Interrail-Tour nur kurz zu Fuß durch einen Nationalpark erkundet hatten.
Auf dem Rückweg aus Frankreich, der sich wegen der Bahnstreiks im April als ziemlich schwierig herausstellte, machten wir noch einmal einen Zwischenstopp am Genfersee in Lausanne und Montreux, bevor wir über Straßburg wieder nach Berlin zurückkehrten. Und bevor ich jetzt versehentlich zur Reisebloggerin werde, weiter in den April hinein…
Im April und Mai war ich auf Einladung des JenDaF Vereins für einen Workshop am Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Interkulturelle Studien der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dort habe ich nicht nur die großen Lettern auf dem Campus bewundert, sondern vor allem einen anregenden Workshop-Nachmittag mit wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und DaF-Dozent*innen erlebt.
Auch am Sprachenzentrum der Europa-Universität Viadrina hatte ich Anfang Mai die Gelegenheit, mit den Kolleginnen und Kollegen über ChatGPT, eigene Vorbehalte und praktische Anwendungsmöglichkeiten im Bereich des (Fremdsprachen-)Lehrens und -Lernens zu diskutieren.
Beide Workshops dienten in erster Linie dazu, eine gemeinsame Gesprächs- und Wissensgrundlage zu schaffen, die eigene Haltung kritisch zu reflektieren, den Chatbot in gezielten Übungen selbst auszuprobieren und die vielfach interessanten, manchmal lustigen, manchmal von falschen Informationen gespickten Chat-Gespräche kritisch zu diskutieren.
Zur Zeit denke ich über Anschluss-Workshops nach, die noch weiter in die Tiefe oder Breite gehen und es den Teilnehmenden ermöglichen, gemeinsam Positionen auszuloten, einen Konsens zu finden, Empfehlungen oder Handlungsanweisungen zu entwickeln und schriftlich für ihr Team, ihr Institut oder die gesamte Institution festzuhalten. Das haben wir in den beiden Workshops nur in ersten Ansätzen geschafft und natürlich bedarf es dafür mehr Zeit, mehr Erfahrung, Expertise und eine gemeinsame Agenda oder Zielrichtung.
Ich bin gespannt auf die Entwicklung in den nächsten Monaten. Für solcherlei Workshops und Aushandlungsprozesse in der Bildung bin ich jedenfalls immer wieder gern zu haben!
Nachdem ich Ende April in Jena neben dem Workshop zu ChatGPT auch noch einen Workshop zum wissenschaftlichen Schreiben in Deutsch als Fremdsprache für internationale DaF-Studierende geben durfte, ist in etwa zur selben Zeit ein Projekt an der Viadrina in Frankfurt an der Oder gestartet, das sich speziell an ukrainische Studierende und Doktorand*innen richtet. “Ukraine digital: Studienerfolg in Krisenzeiten sichern” heißt es und wird vom DAAD gefördert. Hier gibt es sogar einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung darüber.
Ich durfte etwa einen Monat lang als Schreibtrainerin dabei sein, auf Englisch Workshops zu verschiedenen Themen anbieten und die Studierenden beim Schreiben unterstützen. In dieser Zeit gab es einerseits regelmäßige Online-Schreibgruppen für Doktorand*innen, die teilweise aus Deutschland, teilweise aber auch aus der Ukraine zugeschaltet waren. Andererseits fand in zwei Wochen im Mai ein Writing-Retreat direkt in Frankfurt statt, an dem ukrainische Studierende, deren Abschlussarbeiten kurz bevor standen, mit einem Stipendium teilnehmen konnten.
Die Themen waren vielfältig und kurzweilig: Von Zeit- und Selbstmanagement beim Schreiben über Hilfen zur gedanklichen Strukturierung und Gliederung, zum Brainstorming, Feedback Einholen, Literaturverwaltungsprogrammen und dem Monitoring von Schreibprozessen bis hin zu kreativen Ansätzen und der Sensibilisierung für ChatGPT war alles dabei.
Ich bin sehr dankbar, dass ich Teil von UA digital sein und die Studierenden und Doktorand*innen ein Stück weit kennenlernen, begleiten und auf ihrem Weg unterstützen konnte! Hier gibt es auch noch ein paar Einschätzungen zum Lesen:
Dozentin und Schreibtrainerin in Berlin
Wissenschaftliches und kreatives Schreiben, (Hochschul-)Didaktik
Deutsch als Fremdsprache